Haptische Wahrnehmung: Der Tastsinn als Schlüssel zur Welt

Im Alltag berühren wir ständig Objekte, nehmen Temperaturen wahr und interagieren mit unserer Umgebung durch Berührung. Diese aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt durch unseren Tastsinn nennt man auch haptische Wahrnehmung. In diesem Beitrag erfährst du mehr über die Wahrnehmung durch unsere 5 Sinne und wie das Wissen darüber uns im Alltag als auch im Berufsleben unterstützen kann.

1. Was ist haptische Wahrnehmung?

Der Tastsinn ist eines der wichtigsten menschlichen Wahrnehmungssysteme, um Informationen über die Umwelt erhalten zu können, sie einzuordnen und zu verarbeiten. Über die Haut, das größte Sinnesorgan des Menschen, werden kontinuierlich Reize wie Druck, Vibration und Temperatur aufgenommen.

Als haptische Wahrnehmung bezeichnet man das tastende „Begreifen“ im Wortsinne, also die Wahrnehmung durch aktive Erkundung im Unterschied zur passiven taktilen Wahrnehmung.

Die haptische Wahrnehmung ist nicht in einem konkreten Sinnesorgan lokalisiert, sondern bezieht ihre Informationen aus zahlreichen Rezeptortypen und freien Nervenendungen. Mit der haptischen Wahrnehmung können wir die Form, Größe, Textur und das Gewicht von Objekten erfassen. Sie ist essenziell, um feinmotorische Fähigkeiten zu entwickeln und zu verfeinern.

2. Haptische Wahrnehmung vs. taktile Wahrnehmung

Haptische Wahrnehmung Etwas aktiv berühren
Taktile Wahrnehmung Berührt werden

Immer wieder hört man auch von taktiler Wahrnehmung. Der Unterschied zwischen haptischer und taktiler Wahrnehmung ist subtil, aber wichtig. Haptische Wahrnehmungen sind aktive Berührungen. Sie umfassen alle Aspekte der bewussten Berührung unter Verwendung der Hände. Taktile Reize sind passiv, hier wird also das wahrnehmende Subjekt passiv berührt.

Die haptische Wahrnehmung spielt in unserem täglichen Leben eine entscheidende Rolle, vom einfachen Akt des Greifens einer Tasse Kaffee bis hin zur Kunstfertigkeit eines Musikers oder Chirurgen. Mit einem besseren Verständnis dieses Sinnes können wir erkennen, wie zentral er für unsere Interaktionen mit der Welt ist und warum es so wichtig ist, ihn zu schätzen und zu pflegen.

3. Durch Anfassen lernen wir

Der Tastsinn ist wie ein Baustein fürs Gehirn, auf dem alle anderen Erfahrungen aufbauen. – Boukje Habets

Wie wichtig unser Tastsinn ist, zeigt sich bereits bei Kindern. Lange bevor Kinder ihre ersten Wörter sprechen, erforschen sie ihre Umgebung unaufhaltsam. Gegenstände werden in den Mund gesteckt, die Fäustchen krallen sich in die Haare oder die Zehen werden betastet. Bis zu ihrem siebten Lebensjahr lernen Kinder primär durch Nachahmung, Spiele und die Berührung von Objekten und auch danach bleibt die Verbindung zwischen Tastsinn und Lernprozessen stark.

Wenn mehr Sinne involviert sind bedeutet das einen höheren Lerneffekt:

Mit den Fingern verkaufen

Der renommierte Entwicklungspsychologe Jean Piaget, der 1980 verstarb, stellte fest, dass Kinder bis zum Alter von sieben Jahren hauptsächlich durch Nachahmung, Spiel und Berührung lernen. Eine von der Universität Florida durchgeführte Langzeitstudie bekräftigt Piagets Theorie und zeigt, dass frühkindliches Lernen durch Berührung lebenslange Auswirkungen hat. Insbesondere zeigte die Studie, dass Kinder, die in jungen Jahren mit Bauklötzen spielten, später in Mathematik besser abschnitten.

Die Rolle des Tastsinns im Lernprozess bleibt auch nach dem sechsten Lebensjahr bedeutsam, wie verschiedene Studien zeigen. Zum Beispiel verstehen Schüler, die erstmalig ein Thema wie Biologie erforschen, den Lerninhalt besser, wenn sie tatsächlich greifbare Materialien zur Verfügung haben – wie das Modell einer pflanzlichen Zelle.

Auch der Bildungsforscher Paul Gins und seine Kollegen von der University of Sydney konnten in mehreren Studien beweisen, dass sich Menschen mit der Unterstützung der Finger viel schneller und mit weniger Aufwand Lerninhalte nachhaltig einprägen konnten.

4. Haptische Wahrnehmung beeinflusst unser Urteil

Tastwahrnehmungen können auch Auswirkungen auf unser Denken und Handeln haben. Dazu gibt es verschiedenste Versuche, zum Beispiel Studien vom Sozialpsychologen Joshua M. Ackermann aus dem Jahr 2010. Er hat eine Reihe von Studien zur haptischen Wahrnehmung und deren Auswirkungen auf unser Denken, unsere Urteilsbildung und unsere sozialen Interaktionen durchgeführt. Hier sind ein paar der Schlüsselergebnisse aus seinen Studien:

  1. Gewicht und Ernsthaftigkeit: Menschen, die ein schweres Objekt halten, schätzen Themen eher als ernster und wichtiger ein. In einem Experiment wurden den Teilnehmern Aktenmappen ausgehändigt. Diejenigen, die die schwereren Mappen hielten, schätzten die darin enthaltenen Themen als bedeutsamer ein und zeigten mehr Engagement.
  2. Härte und Strenge: Zudem wurde festgestellt, dass das Berühren harter Oberflächen zu strengeren Urteilen und Verhaltensweisen führen kann. Beispielsweise waren die Teilnehmer, die vorher harte Objekte berührt hatten, in Verhandlungen weniger nachgiebig.
  3. Textur und soziale Interaktion: Er fand auch heraus, dass die Textur eines Objekts, das wir berühren, unsere sozialen Interaktionen beeinflussen kann. In einer Studie bewerteten Teilnehmer, die zuvor raue Oberflächen berührt hatten, soziale Interaktionen als schwieriger und konfliktreicher im Vergleich zu denjenigen, die glatte Oberflächen berührt hatten.

5. Haptik fördert den Verkauf von Produkten & Dienstleistungen

Trotz aller Studien sind viele Menschen noch immer verblüfft, wenn die Haptik dann tatsächlich mal 50 bis 200% mehr Erfolg produziert, wie zum Beispiel:

  • eine Berührung das Trinkgeld um 50% erhöht
  • eine Berührung die Hilfsbereitschaft verdreifacht
  • ein schwereres Klemmbrett Studenten zu wesentlich besseren Noten animiert
  • ein Warmgetränk doppelt so viel Ja´s erzeugt, wie ein Kaltgetränk
  • wie die körperliche Nähe die Produktivität erhöht
  • wie Haptische Verkaufshilfen, den Umsatz flächendeckend von 30 bis 100% erhöhen
  • wie Berührung von Babys beruhigt und das Wachstum erhöht.

Tipp: Im Buch „Haptik – Der Supersinn“ erfahren Sie, wie die Haptik den Erfolg eines Unternehmens nachhaltig steigern kann. Das beliebte Buch „Haptisches Verkaufen“ ist als bequemes Hörbuch verfügbar.

Haptik - Der Supersinn

Die Haptik kann ein absoluter Turbo für Marketing und Vertrieb sein. Haptische Verkaufshilfen können außerdem dazu genutzt werden, um Dienstleistungen zu verkaufen in dem man sie ins Verkaufsgespräch mit einbezieht.

5.1 Haptische Wahrnehmung und Produktbewertung

Was wir ergreifen, ergreift uns

Die haptische Wahrnehmung beeinflusst auch, wie wir Produkte wahrnehmen. Eine Studie von Peck und Childers (2003) wies darauf hin, dass das Berührungsbedürfnis der Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist. Kunden mit einem hohen NFT – Need for Touch – brauchen Berührungen, um einerseits die Qualität zu prüfen, haben aber auch einfach Freude am haptischen Erlebnis und sind für Spontankäufe prädestiniert. Die Ergebnisse zeigten, dass diejenigen, die das Produkt berührt hatten, eine stärkere emotionale Bindung zum Produkt entwickelten und es als qualitativ höherwertig bewerteten.

Wie auch in einer Studie von Bill et. al (2012) herausgefunden, sind Kunden durch Anfassen auch eher dazu bereit, einen höheren Preis zu zahlen. (Bill et al. 2012, Die Bedeutung des „Need for Touch“ für eine ganzheitliche Dialogmarketingstrategie).

5.2 Haptische Wahrnehmung und Entscheidungsfindung

Eine Studie von Shen und Sengupta (2012) stellte fest, dass das Halten eines schweren Gegenstandes dazu führte, dass die Teilnehmer Entscheidungen als wichtiger und ernster betrachteten. In dieser Studie hielten die Teilnehmer entweder einen leichten oder einen schweren Clip-Board während sie Produktbewertungen lasen. Diejenigen, die das schwerere Clip-Board hielten, verbrachten mehr Zeit mit der Bewertung und waren auch eher dazu bereit, ein hochpreisiges Produkt zu kaufen.

5.3 Haptische Wahrnehmung und Vertrauensbildung

Eine Studie von Bailenson and Yee (2008) fand heraus, dass die Möglichkeit, virtuelle Objekte in einer Online-Umgebung zu berühren, das Vertrauen der Nutzer in die Umgebung und die dort angebotenen Produkte erhöhte. In diesem Experiment konnten die Teilnehmer entweder Objekte in einer virtuellen Welt nur ansehen oder sie auch „berühren“ (mit haptischem Feedback). Diejenigen, die die Objekte „berühren“ konnten, gaben an, dass sie mehr Vertrauen in die virtuelle Welt und in die Produkte hatten.

Haptik ist ein faszinierendes Forschungsfeld mit einem enormen Potenzial für zukünftige Entwicklungen und Entdeckungen. Sie trägt nicht nur dazu bei, unser Verständnis der menschlichen Sinne zu erweitern, sondern hat auch das Potenzial, die Art und Weise, wie wir Technologie nutzen und erleben, grundlegend zu verändern.